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Kersten Flenter's review of 'An Unfortunate Woman' (German)
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Richard Brautigan: Eine unglückliche Frau

von Kersten Flenter?

In den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts beschrieb Richard Brautigan mit seinen Büchern das Lebensgefühl einer ganzen Generation. Romane wie "Forellenfischen in Amerika" oder "Die Abtreibung" waren ausnahmslos Bestseller, und seine Kurzprosasammlung "Der Tokio Montana Express", veranlasste den französischen Autor Philippe Djian zu der Äußerung, Richard Brautigan sei "ein Grund das Leben zu lieben". Wie bei vielen anderen verlangte der Ruhm und Erfolg aber auch bei Brautigan seinen Preis. Auf seiner Farm in Montana beschäftigt er sich mit Schießen und Fischen, gibt sich immer mehr dem Suff hin; am Ende steht der Freitod. Als man den bereits verwesenden Leichnam Brautigans im Oktober 1984 findet, neben ihm ein Gewehr, hatte er bereits mehrere Wochen auf seiner Ranch gelegen. Posthum, 16 Jahre nach seinem Tod in den USA erschienen und nun in diesem Jahr auch in deutscher Ãœbersetzung im kleinen Augsburger MaroVerlag, liegt mit dem Roman "Eine unglückliche Frau" das literarische Vermächtnis Brautigans vor. Das Thema "Tod" zieht sich wie ein roter Faden durch diesen Roman, dessen Komposition, stilistisch ein Patchwork aus Notizbuch, Tagebuch und Reiseerzählung, zwar im gewohnt ironisch-surrealen Stil des Autors gehalten ist, aber einer klaren Form folgt. Brautigan nennt seinen Roman den "Kalender der Reise eines Mannes während einiger Monate seines Lebens": Eine Frau, in deren Haus Brautigan für eine Weile wohnte, hat sich erhängt. Deshalb flüchtet er aus Berkeley, reist nach Alaska, nach Hawaii, San Francisco, Chicago und schließlich nach Montana. Stets kehren während dieser Reise die Gedanken an den Tod zurück. Dabei gelingen Brautigan, wie in allen seinen Büchern, Sätze von einer entwaffnenden, traurigen Schönheit. Nicht immer ist dem Leser klar, ob er es nun mit einer fiktiven Handlung oder tatsächlichen biographischen Ereignissen des Autors zu tun hat. Brautigan schreibt sein letztes Buch in ein 160-seitiges Notizbuch mit jeweils 14 Zeilen pro Seite, schreibt so lange, bis das Notizbuch voll ist, nimmt sich vor, niemals zurückzublättern oder Korrekturen anzubringen. So wird die Zeitspanne des Romans quasi in Echtzeit mitstenographiert und trägt den Autor gegen Ende immer näher an die eigene Biographie. Deutlich wird, wie sehr Brautigans Gedanken um den eigenen Tod und die traurige Kindheit kreisen, am Ende dann um die eigene Tochter, Ianthe, zu der er ein sehr problematisches, entfremdetes Verhältnis hatte. Im Motto, das Brautigan dem Buch voranstellt, zitiert er Euripides' "Iphigenie in Aulis". Der Dialog zwischen Agamemnon und seiner Tochter Iphigenie steht sinnbildlich für Brautigans eigenes Vater-Tochter-Verhältnis: Iphigenie wird scheinbar vom Vater geopfert, damit die Göttin ihm günstige Winde schickt, um Troja zu erobern, und die Tochter fügt sich: "Komm du / Von Troja uns recht bald und siegreich wieder!" Am Ende des Buches thematisiert Brautigan das Verhältnis zu seiner Tochter explizit. Sie sprechen kaum miteinander, haben sich nichts zu sagen. Ein Telefonat zwischen beiden endet desolat. Am Schluss des Buches heißt es: "Auf dieser Seite sind noch zehn Schreibzeilen frei, und ich habe mir vorgenommen, die letzte Zeile nicht zu benutzen. Ich spare sie auf für das Leben von jemand anderem. Er wird sie hoffentlich besser nutzen als ich." Und dann die letzte Zeile: "Iphigenie, Dein Papa ist wieder aus Troja zurück!" Die Literatur soll hier, wieder einmal, ein misslungenes Leben heilen. Ianthe Brautigan, die Tochter, unternimmt nach Brautigans Tod einen Selbstmordversuch, macht anschließend eine Therapie und schreibt selbst ein Buch: "Den Tod holen — Erinnerungen einer Tochter", das ebenfalls dieser Tage auf Deutsch erschienen ist, und zwar im neugegründeten Kartaus-Verlag. Ein Rätsel bleibt, warum dieser Roman erst 16 Jahre nach Brautigans Tod erschien, und warum ihn in Deutschland bis auf den kleinen, umtriebigen Augsburger MaroVerlag zunächst niemand haben wollte. Sicher, Brautigan reizt den ihm eigenen Stil in seinem letzten Buch bis zur Schmerzgrenze aus. Nichtsdestotrotz ist es seine einzigartige Sprachkunst, die auch dieses letzte Buch zu einem Leseerlebnis werden lässt; seine Sprache, die dem scheinbar Beiläufigen eine eigene Wirklichkeit zu verleihen vermag, oder, wie sein Biograph Keith Abbott es nannte, seine Fähigkeit, die Dinge noch einmal "ganz ursprünglich und direkt" zu sehen, "so als schaute er sie zum ersten Mal an".


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